Rekonvaleszenz ist harte Arbeit


„Arbeitest Du wieder?“, werde ich oft gefragt. „Nein, noch nicht“, sage ich dann und habe jedes Mal ein schlechtes Gewissen dabei. Warum eigentlich? Weil ich nach dem Infarkt nicht wieder „funktioniere“ wie vorher? Kein Hansdampf mehr in allen Gassen? Keine Kerze mehr, die an zwei Enden brennt? Will ich das denn? Dabei stimmt es gar nicht, dass ich nicht arbeiten würde. Ich bin „rekonvaleszent“. Und das ist harte Arbeit für Körper, Geist und Seele. Rekonvaleszenz – es bedeutet: gedeihen, heilen oder zumindest wieder kräftig werden, wieder stark werden (1). Das geschieht zum Teil ohne mein Zutun denn mein Körper möchte nichts anderes, als wieder heil werden. Aber es braucht andererseits auch harte Arbeit. Wieder stark werden bedeutet auch aufzuspüren, was mich schwach und damit letztlich krank gemacht hat. Wenn man erkannt hat, dass plötzlich nichts mehr weiter geht wie vorher und der bisherige Lebens- und Arbeitsentwurf ordentlich ins Wanken geraten ist dann ist das eine richtige Katastrophe. So sitzt man erst einmal heulend auf den Trümmern seiner Lebensentwürfe und sortiert sie etwas hilflos und ziellos von da nach dort. Und jedes Mal passt es irgendwie nicht. Es ist auch so gar nicht zielführend. Solche Schwachheiten darf man sich für eine Zeit erlauben, denn es ist auch ein Stück wichtige Trauerarbeit sich von Gewohntem zu trennen. Dieser Tage fiel mir eine Karte mit einem guten Spruch in die Hände: „Und wenn du das Gefühl hast, dass gerade alles auseinander zu fallen scheint, bleib ganz ruhig. Es sortiert sich nur neu.“ Klar, man kann nicht darauf warten, dass es sich von selbst sortiert. Man muss schon auch selbst ein paar Trümmer aufheben und schauen, wie die Teile neu und anders zusammen passen. Dabei ist es ganz gut vorher ein bisschen zurück zu treten, damit man einen besseren Überblick über das gesamte Trümmerfeld bekommt. Was davon ist noch gut und kann wieder verwendet werden? Einige Teile muss man auch aussortieren (sie passen einfach nicht mehr, wie man sie auch dreht und wendet), ein paar neue Teile hinzufügen. Auf keinen Fall kriegt man die alte Form wieder hin. Das wäre auch nicht gut. Wenn mich ab morgen jemand fragt: „Arbeitest du wieder?“, dann werde ich antworten: „Na klar, und ob! Ich habe jede Menge zu tun.“ Vielleicht sollte ich meine Berufsbezeichnung in den sozialen Netzen zeitweise ändern in „Rekonvaleszenz-Schaffende“.

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Rekonvaleszenz

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